"Eine Chance, Schule neu zu denken"

Tobias Raue © Claudia Höhne

Kontaktverbot oder gar Quarantäne ist keine leichte Situation. Vor allem, wenn man gemeinsam an einem Projekt arbeitet oder lernt. Lehrer Tobias Raue hat uns erzählt, wie digitales Lernen an seiner Schule funktioniert und wie er die Teams beim DGPS jetzt coacht.


Tobias Raue ist Lehrer für Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an den Kaufmännischen Schulen Rheine in Nordrhein-Westfalen. Erstmals läuft sein Unterricht nun vollkommen digital ab. Seit acht Jahren coacht er zudem regelmäßig Schülerteams beim DGPS – in dieser Spielrunde sogar vier Teams.

Herr Raue, das Corona-Virus macht auch vor dem DGPS nicht halt. Die Teams können die Aufgaben überwiegend online bearbeiten, aber sie dürfen sich aufgrund des Kontaktverbots nicht mehr dafür treffen. Wie arbeiten diese jetzt zusammen, welche digitalen Tools nutzen sie und wie unterstützen Sie die Teams?

Bereits seit zwei Jahren haben wir an unserer Schule das Office 365 Paket als Kommunikations- und Austauschplattform installiert. Mit dem integrierten Tool „Teams“ kann man den gesamten Projektprozess darstellen. Das bildet auch die Grundlage der Zusammenarbeit beim DGPS. Darüber chatten die Gruppenmitglieder, planen die Bearbeitung der Aufgaben, schreiben und kommentieren die Texte und tauschen alle möglichen Dateien und interessanten Links aus. Alles das findet nun natürlich viel intensiver statt. Jetzt kommen auch noch regelmäßige Teamtreffen in Videokonferenzen hinzu. Darin besprechen die Schülerinnen und Schüler allein oder mit mir gemeinsam aufgelaufene Fragen, notwendige Abstimmungen oder anstehende Aufgaben.

Welche Herausforderungen gibt es bei der digitalen Zusammenarbeit mit den Teams und welche positiven Tendenzen können Sie erkennen?

Die technische Infrastruktur scheint, bei meinen nahezu erwachsenen Lernern an einem Wirtschaftsgymnasium, nicht das zentrale Problem zu sein. Das habe ich aus meinem Lehrernetzwerk allerdings schon anders gehört. Ich weiß, dass viele Schülerinnen und Schüler zu Hause einfach nicht die strukturellen Voraussetzungen mitbringen, um zu Hause zu lernen. Hier verschärfen sich die Ungerechtigkeiten. Das ist ein zukünftiges Arbeitsfeld der Bildungspolitik, hier Abhilfe zu schaffen.

Die Motivation ist sicherlich die große Herausforderung bei der Zusammenarbeit. Der fehlende Tagesrhythmus eines Schulalltages führt bei den Schülerinnen und Schülern dazu, dass sie ihre Zeit selbst strukturieren. Das ist eine wunderbare Begleiterscheinung des Homeschoolings. Die Schule muss sich nun anderen attraktiven Beschäftigungen der Jugendlichen unterordnen. Manchmal zieht der DPGS da den Kürzeren. Die schmerzvolle Erfahrung muss ich gerade auch machen. Aber wenn der Spaß an der Aufgabe und am Wettbewerb da ist und die Teams motiviert an die Sache gehen, dann ist die derzeitige "Auszeit" sogar eine Chance, sich häufiger, intensiver und länger zu treffen – und sei es auch online. Darüber hinaus ergänzen die Schülerinnen und Schüler ihre Kompetenzen, kollaborative und kommunikative Tools zu nutzen.

Genauso wie viele andere Lehrkräfte mussten Sie quasi von heute auf morgen auch den Schulunterricht von analog auf digital umstellen. Wie sind Sie dabei vorgegangen und wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Klasse? Ist jemand einfach auch mal nicht online?

Es ist weniger der Unterschied analog vs. digital als vielmehr eine veränderte Schwerpunktsetzung in den Aufgaben für die Klassen. Wie bei uns in NRW wird es in vielen anderen Bundesländern ebenfalls der Fall sein, dass die Inhalte zurzeit weder benotet werden können noch Teil einer künftigen Klassenarbeit sein dürfen. Die Herausforderung für uns Lehrkräfte bestehen also nicht nur auf der technischen, sondern insbesondere auf der pädagogischen Ebene. Ich versuche meine Klassen über langfristige Projektaufgaben, die sie im Team mit digitalen Methoden erarbeiten können, zu begleiten. Eine Lerngruppe z. B. erstellt gerade verschiedene digitale Produkte wie Homepages oder Podcasts zur Gründungshistorie von selbst gewählten Start-ups. Wir besprechen uns in regelmäßigen Onlinemeetings und die Schülerinnen und Schüler bleiben in ihren Gruppen über verschiedenste Kanäle in Kontakt. Ein digitales, individuelles Lernportfolio begleitet den Prozess. Sind einzelne Schülerinnen und Schüler mal nicht in der Lage, live dabei zu sein, so können sie sich später die Aufzeichnung im Stream anschauen.

Herr Raue, glauben Sie, dass die Schulschließungen jetzt die Chance für den digitalen Unterricht sind?

Gegenfrage: Was ist für Sie digitaler Unterricht? Es ist aber klar, dass die derzeitige Gemengelage eine Chance ist, Schule neu zu denken. Das System lernt gerade, wie es die Kompetenzerweiterung bei Schülerinnen und Schülern anregt, ohne auf tradierte und in Stein gemeißelte Strukturen wie Lehrpläne, Unterrichtssetting, Hausaufgabenkontrolle, 45-Minuten-Taktung, Fächerorientierung, Klassenarbeiten und Benotung zurückgreifen zu können. Vieles, was bisher als unmöglich galt, wird gerade möglich. Die Experten in der Schulbildung sollten diesen Systemreset nutzen, um diesen offenen, projektorientierten, kommunikativen, kollaborativen und digital begleiteten Unterricht in den zukünftigen Schulalltag hinüber zu retten. Für mich ist die Schulschließung also eine Chance für einen anderen Unterricht.

Wie sieht nun ihr persönlicher Alltag in Zeiten von Corona aus?

Ich verbringe natürlich die meiste Zeit meines Tages zu Hause mit meiner Familie. Wir begleiten die Kinder bei deren Schulaufgaben und versuchen, ihnen attraktive Freizeitbeschäftigungen zu ermöglichen – das Vereinsleben liegt ja brach. Und dann sind da noch die vielen bislang unerledigten Baustellen und privaten Projekte, die wir nun in Angriff nehmen. Bei den abendlichen Videochats mit Freunden, der Familie und den Registerkollegen aus dem Orchester tausche ich mich gerne aus und finde es tröstlich, dass offensichtlich nicht nur das Bildungssystem gerade kopfsteht. Alle scheinen, mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen.

Welche Tipps haben Sie für alle Teams, die gerade zu Hause an ihrer Idee arbeiten?

Macht weiter – es lohnt sich! Trefft euch, gebt den anderen Feedbacks, plant die Aufgaben sorgfältig und arbeitsteilig, bleibt in ständigem Kontakt – alles wie sonst, nun nur online. Fragt euren Coach nach einer geeigneten Kommunikationsplattform, falls ihr noch keinen Workflow gefunden habt. Ich wünsche euch allen viel Erfolg und viel Spaß bei diesem tollen Wettbewerb. Kommt gesund durch die Zeit!

Um unsere Webseite zu optimieren und zu verbessern, sowie zur interessengerechten Ausspielung von News, Artikeln und Anzeigen, verwenden wir Cookies. Durch den Button "Akzeptieren" stimmst Du der Verwendung zu. Für das Funktionieren der Webseite verwenden wir notwendige Cookies. Weitere Informationen erhältst Du in unserer Datenschutzerklärung. Du kannst Dein Einverständnis dort auch jederzeit widerrufen.